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Tausend mal besser als Effi Briest

Christoph Hein

WAZ 12.09.2007  

Jubiläumslesung im Riesener-Gymnasium: Der Schriftsteller Christoph Hein las aus „Paula Trussaud“. Schüler hörten mit Interesse zu und hätten gern noch mehr gefragt.

 Christoph Hein
Der renommierte Schriftsteller Christoph Hein las aus seinem Buch „Frau Paula Trousseau“ (Suhrkamp)

Foto: Daniela Städter  

Wie war´s? „Tausend mal besser als Effi Briest“, findet Schüler Tim Kellermanns. Pech für Fontane, den das aber wohl kaum noch stört. Vielleicht hätte der große Schriftsteller des 19. Jahrhunderts das sogar verstanden. Geschrieben hat er für die Menschen seiner Zeit. So wie sein Kollege Christoph Hein das heutzutage macht, dessen Lesung im Rahmen des Riesener-Schuljubiläums Schulleiter Michael Nieswandt stolz als „literarische Veranstaltung der Extraklasse“ ankündigte.

Der so gelobte Schriftsteller lächelt bescheiden, große Worte zu machen von sich ist nicht sein Ding. Er liest lieber. Von und über Paula Trousseau, seiner Romanfigur im gleichnamigen, gerade erschienenen Buch. Die so ist, wie viele andere seiner Figuren in seinen anderen Büchern: Ein Mensch, dem nicht alles glückt im Leben, und von dem man sagen könnte, dass die Menschen auf der Sonnenseite immer die Anderen sind. Warum das so ist? Nein, darauf gibt es keine einfache Antwort und dafür auch keine simplen kausalen Zusammenhänge wie etwa eine schlimme Kindheit. „Auch im Leben ist das nicht so“, sagt Christoph Hein später nach der Lesung im Gespräch mit Lehrer Winfried Klutzny und Gerd Herholz vom Literaturbüro Ruhrgebiet. „Wir haben an vielen Tagen des Lebens die Möglichkeit, uns anders zu entscheiden.“ Und weil das so ist, beurteilt und richtet er seine Figuren nicht, er beschreibt, was ist. „Ich bin ein Chronist ohne Botschaft“. Erst in der Reflektion über das Gelesene, sozusagen zwischen den Zeilen, findet der Leser eine Botschaft, die immer auch eine für ihn ganz individuelle ist.

Hein kann aber auch anders, bezieht in einigen Essays klar politische Stellung, hat als Ostdeutscher mutig Meinungen vertreten und öffentlich bekundet. Und sich später nicht gescheut, den Fall des getöteten RAF-Mitglieds Wolfgang Grams literarisch zu verarbeiten („In seiner frühen Kindheit ein Garten“), und musste sich mit dem Vorwurf des RAF-Sympathisantentums auseinander setzen.

Das war jedoch kaum ein Thema an diesem Abend, obwohl die Schüler sich gerade darauf vorbereitet hatten. So richtig kamen sie nicht zum Zuge, die geballte Literaturkompetenz auf dem Podium hielt sie wohl davon ab. Dabei hat der Schriftsteller Hein ihnen einiges zu sagen: „Es ist nicht einfach, in Deutschland ein Kind zu sein“, und „zum Autofahren braucht man einen Führerschein, zum Kindererziehen nicht“. Da applaudieren die 17- bis 18-Jährigen lang und anhaltend. Fontane hätte das verstanden.

 Von Maria Lüning