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Fliegende Wirtschaftsbosse

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WAZ 08.07.2010
Da oben fliegen 20 Wirtschaftsbosse und hier unten verhungern wir!“, sagt Phillip Hebestreit, der die Hauptrolle spielt, deutet auf einen Zeppelin auf einer Leinwand. „Kasimir und Karoline“ heißt das Stück, das der Literaturkurs des Zwölfer-Jahrgangs am Riesener-Gymnasium in dieser „Spielzeit“ inszeniert hat.
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Die Schüler des Theaterprojekts am Riesener-Gymnasium führen Ödön von Horváths Kasimir und Karoline auf.

Foto: Franz Meinert

Ein Stück, das zur Zeit passen soll: Es zeigt die Gegensätze von Arm und Reich, den zwischen ohnehin schon erfolgreichen Wirtschaftsgrößen und den mit Pech gestraften „kleinen Leuten“. „Wir haben ein Stück gesucht, das zur Finanzkrise und den damit verbundenen Folgen wie Arbeitslosigkeit passt“, sagt Winfried Klutzny, Lehrer am Riesener-Gymnasium und für den Literatur-Kurs zuständig.

Und so ist es auch ein Stück der Gegensätze: Karoline will mit ihrem zukünftigen Bräutigam Kasimir auf dem Oktoberfest feiern. Sie will Eis essen, Achterbahn fahren, ins Hippodrom. Aber Kasimir ist nicht danach, denn er wurde gestern „abgebaut“, er ist arbeitslos.

Und so führt eins zum anderen, das ehemals glückliche Paar trennt sich und findet Ablenkung von der eigenen Lage und Trauer in dahergelaufenen Oktoberfest-Bekanntschaften. Es endet in einem Liebes-Dilemma, die Tragik ist perfekt.

So ist es auch ein Stück der menschlichen Leidensgeschichten: „Wir wollten die Serie der letzten beiden Stücke fortführen. Mit „Woyzeck“ und „Haltestelle Geister“ haben wir in den letzten Jahren zwei Stücke aufgeführt, die das menschliche Scheitern zum Thema hatten. Auch zeitlich haben wir mit diesen drei Stücken eine kleine Reise gemacht und drei Stücke aus sehr verschiedenen Zeiten inszeniert.“

Aber auch wenn das Stück von Ödön von Horváth aus den 30er Jahren stammt, Anker der heutigen Zeit wurden dem zumeist jugendlichen Publikum in Hülle und Fülle geboten: Das Oktoberfest – hier durfte man übrigens sogar noch rauchen – wurde durch auf eine Leinwand projizierte Bilder zeitweise zur Cranger Kirmes mit Auftritt von Olaf Henning.

Die von dieser Atmosphäre ganz geblendeten Figuren müssen jedoch am Ende feststellen, dass es „Menschen ohne Gefühle im Leben einfacher haben“, wie Karoline in einer Textpassage sagt. Glücklich sind am Ende jedoch weder die Gefühlslosen, noch die, die Gefühle zeigten. Eine letzte Parallele zum Hier und Jetzt lässt sich noch ziehen: Die zweite Aufführung musste dem Halbfinal-Public-Viewing weichen. Und bekanntermaßen hatte auch dieses kein glückliches Ende.

Jan Dinter